Herr Fromm, Anfang des Jahres wurde viel darüber diskutiert, dass im Kabinett der Großen Koalition kaum ostdeutsche Politiker sind. Wenn Sie diese Diskussion hören, fühlen Sie sich da auch ein wenig ‚ertappt‘?
Friedemann Fromm: Wieso ertappt?
Nun, Sie drehen eine Serie über die DDR und ihre Nachwirkungen, wurden selbst aber in der anderen Hälfte des Landes sozialisiert.
Fromm: Ich glaube, dass Empathie und ein genauer Blick nicht unbedingt etwas mit Herkunft zu tun haben. Vielleicht ist es manchmal sogar einfacher, Dinge aus der Distanz zu sehen – sofern man sie sehen will, sofern man auch einen empathischen Blick hat. Den würde ich mir zurechnen, daher glaube ich, dass meine Herkunft dem Format „Weissensee“ nicht geschadet hat. Im Gegenteil: Fast alle entscheidenden Kreativen – bis auf die Schauspieler, die mehrheitlich aus der ehemaligen DDR stammen – kommen aus dem Westen: die Produktionsfirma, Kameramann, Szenenbildner usw. Dadurch haben wir den Anspruch und den Ansporn gehabt, extrem genau zu sein – und auch unseren Westblick immer wieder zu hinterfragen. Das war für mich persönlich auch eine sehr spannende, heilsame Erfahrung.
Wie haben Sie die eigene Sichtweise hinterfragt?
Fromm: Durch Gespräche und generell durch die genaue Beschäftigung damit, was in diesem anderen Deutschland so passiert ist. Ich bin west-sozialisiert, komme aus Stuttgart, habe in München studiert, die Wiedervereinigung aus München heraus erlebt. Ein paar Kontakte in die DDR hatte ich durch Filmfestivals, ansonsten war es aber für mich ein sehr bizarres, schräges Land.
Nach dem Mauerfall, bevor ich anfing mich filmisch mit der DDR auseinanderzusetzen, habe ich auch zu diesen West-Vorurteilen geneigt: ‚Was jammert ihr rum, es fließt doch unfassbar viel Kohle in den Osten‘. Von diesen Vorurteilen musste mich irgendwann verabschieden – was gut ist. Ich habe viel gelesen und recherchiert, es sind auch einige private Kontakte entstanden. Es ist ja einfach, aus so einer bequemen West-Position ein Urteil über die DDR zu fällen. Als ich anfing, mich in die Menschen hineinzuversetzen, merkte ich, dass alles viel komplizierter und vielschichtiger ist, als ich mir es vorgestellt habe. Dass die Menschen unter einem Druck standen, den ich so nie kennengelernt habe.
Was für Gespräche haben Sie speziell im Hinblick auf „Weissensee“ geführt?
Fromm: Ich habe mir für jede Staffel neue Interview-Partner gesucht. Zum Beispiel habe ich jetzt mit einem ehemaligen Manager eines großen West-Konzerns darüber gesprochen, wie damals diese ‚Kaperung‘ Ostdeutschlands vor sich ging. Ich habe auch einen Journalisten getroffen, der über das Verschwinden der Parteigelder recherchiert hat – was ja bis heute nicht wirklich aufgeklärt ist.
Im erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis habe ich außerdem die private Situation nach dem Mauerfall recherchiert: dieses merkwürdig zwiegespaltene Gefühl zwischen ‚jetzt ist alles möglich‘ und der Ohnmacht ‚ich verliere meinen Job, niemand erklärt mir den Kapitalismus, jeder setzt irgendetwas voraus‘. Besonders die privaten Gespräche helfen mir, mit den Figuren, die ich erzähle, in eine emotionale Schwingung zu kommen.
Haben Sie auch in Stasi-Akten hineinschauen können?
Fromm: Ja, zwei Freunde haben mich ihre Akte lesen lassen. Die eine ist von erschreckender Langeweile: Der Freund war Angler, in den Berichten steht seitenweise wie er am Weiher sitzt und angelt. Da wurde jeder einzelne Fisch kommentiert.
Die andere Akte war von höherer Brisanz, weil diese Person verraten wurde und dadurch im Gefängnis saß. Insofern habe ich in den Akten die ganze Bandbreite der Überwachung vorgefunden, von der vollkommenen Sinnentleertheit bis hin zur wirklichen Bösartigkeit.
Welches Feedback bekommen Sie zu „Weissensee“ von früheren DDR-Bürgern?
Fromm: Die mehrheitliche Resonanz aus Ost-Deutschland ist – darauf bin ich auch stolz – dass die Leute sagen: Wir fühlen uns in der Serie erkannt und gesehen. Sie haben nicht das Gefühl, dass sich jemand auf ihr Leben oder ihr Schicksal ‚draufpropft‘ und damit irgendwas erzählt. „Weissensee“ betreibt ja auch keine Ostalgie, sondern wir zeigen Dinge, wo frühere DDR-Bürger zustimmen und sagen: Das haben wir so erlebt bzw. gefühlt.
Katrin Sass wurde nicht 'rausgeschrieben'.
Nach Ihrer intensiven Beschäftigung mit der DDR: Gibt es Dinge, die Sie aus der DDR gerne hätten rüberretten wollen, ins geeinte Deutschland?
Fromm: Ich denke, dass Teile des Gesundheitswesens gut organisiert waren. In ihrer politischen Konstellation allerdings, ist die DDR ein gescheiterter Staat. Da bin ich oft erschrocken über die Dummheit und Kurzsichtigkeit derjenigen, die diesen Staat zu verantworten hatten. Deren Ignoranz dem eigenen Volk gegenüber finde ich erschreckend. Das Tragische an der DDR ist für mich, dass die Idee eigentlich eine tolle war – sie wurde aber von Verantwortlichen derart in den Sand gesetzt, dass es wirklich weh tut.
Aber lassen Sie uns auch über die Bürger, die Gesellschaft sprechen…
Fromm: Was ich immer wieder in Erzählungen gehört habe und was ich bemerkenswert finde, ist die Solidarität der Leute untereinander. Es war eine Form von Aufeinander-Acht-geben, die sich unterscheidet von dem, wie ich es im Westen erlebt habe. Besonders war auch der Wert von echten Freundschaften. Es war ja nicht einfach, jemand zu haben, dem man Dinge anvertraut, auch die sehr persönlichen Dinge. Diese Solidarität untereinander vermissen heute, glaube ich, viele Menschen, in dieser jetzt viel schnelleren Westwelt.
Haben Sie auch mit Katrin Sass über die DDR gesprochen?
Fromm: Selbstverständlich, wie mit allen Schauspielern. Es war auch eine ganz bewusste Entscheidung, „Weissensee“ vor allem mit Schauspielern zu besetzen, die eine Ost-Geschichte haben. Die Gespräche mit ihnen bei den Leseproben habe ich als sehr wertvoll empfunden. Wobei interessant war, dass sich die Schauspieler oft gegenseitig widersprochen haben. Der eine hat die DDR so wahrgenommen, der andere meinte, es sei komplett anders gewesen. Später las ich in einer Untersuchung, dass diese segmentierte Wahrnehmung damit zusammenhängt, dass es in der DDR keine freie, übergeordnete Presse gab, die diese Einzelmeinungen irgendwie koordiniert hätte. Jeder hat sehr individuell seine bzw. ihre DDR erlebt.
Mit Katrin habe ich viel über den Druck gesprochen, den sie erlebt hat, über ihren Weg in der DDR. Sie hat ja auch viel von sich in ihre Rolle eingebracht.
Und nun mussten Sie Katrin Sass aus der Serie ‚rausschreiben‘.
Fromm: Ihre Figur war in der vierten Staffel eingeplant. Doch dann hat sie die Drehbücher gelesen und sich darin nicht wiedergefunden. Darüber gab es Gespräche, ich habe ihr gesagt, dass ich mich wahnsinnig freuen würde, wenn sie in der Serie bleibt und habe versucht, mit ihr einen Weg zu finden, wie man die Rolle bauen kann, so dass sie sowohl meinen Anforderungen als auch ihren Wünschen entspricht. Da sind wir nicht zusammengekommen.
In Zeitungsberichten hieß es, Katrin Sass wollte mehr präsent sein.
Fromm: Ja, und sie wollte in einer anderen Form präsent sein. Da fand ich es legitim, zu sagen: Wir gehen auseinander. Ich finde das nicht so tragisch, muss aber auch klar sagen: Katrin wurde nicht ‚rausgeschrieben‘, sondern es war letzten Endes ihr Wunsch, nicht mehr Teil dieser Staffel zu sein, weil sie mit der Rolle in der Form nichts anfangen konnte.
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Drehbuch-Version eine tolle Facette ihrer Figur gewesen wäre. Aber ich kann sie nicht zwingen, meine Meinung zu haben. Dann ist es besser, man geht auseinander, anstatt dass sie mit der Faust in der Tasche etwas spielt, wovon sie nicht überzeugt ist.
Sass berichtete in einem Gespräch, das ich mit ihr führte, über politische Einflussnahme auf DDR-Filme, zum Beispiel dass eine Szene nach der Abnahme neu gedreht werden musste.
Nun hört man heutzutage von Schauspielern und Regisseuren, dass bestimmte Dinge wegen der Quote nicht gehen, nicht gemacht werden können. Ist es als Kulturschaffender eine ähnliche Unfreiheit, wenn einen die Quote zum Anpassen zwingt?
Fromm: Ich habe so einen offenen Eingriff in meine Arbeit noch nie erlebt. Ich konnte die Filme immer so drehen, wie ich sie vertreten kann, ich musste nirgendwo Abstriche machen, die ich nicht vertreten konnte. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es heute nicht mehr so frei ist, wie zu meiner Anfangszeit. Bei meinen ersten Filmen für den Bayerischen Rundfunk hat die Redakteurin mit mir per Handschlag vereinbart, was wir machen – und dann hat sie mich laufen lassen. Sie hat sich dann den fertigen Film angeguckt, darüber wurde diskutiert, wenn sie nicht meiner Meinung war, hat sie das zu Protokoll gegeben – aber das war’s.
Heute ist der Einfluss von Redakteuren und Redakteurinnen stärker geworden. Man muss sich mehr auseinandersetzen, ich muss mich besser inhaltlich aufstellen, rechtfertigen. Ich muss jetzt härter kämpfen als früher, für die Dinge, von denen ich überzeugt bin. Es gab auch den Fall, dass Stoffe, die ich gerne gemacht hätte und für relevant halte, nicht gemacht wurden.
Was für Geschichten waren das?
Fromm: Das waren politische Stoffe. Ich wollte einmal eine Geschichte über Nachfolgeorganisationen der Stasi drehen, die sich nach der Wende in West-Deutschland sehr gut vernetzt haben, doch da bekam ich nur Absagen. Es kommt dann das Argument „Das will doch keiner sehen“ – was natürlich tückisch ist, ein Totschlag-Argument. Denn wie beweise ich, dass die Leute es doch sehen wollen?
Aber geht es nicht auch darum, das Publikum mit Dingen zu konfrontieren, statt nur zu zeigen, was es sehen will?
Fromm: Ja, ich finde, dass sich das Fernsehen durchaus Dinge leisten muss, von denen man erstmal nicht glaubt, dass alle sie sehen wollen. Nur kann ich die Leute, die das Geld haben, natürlich nicht zwingen, es für etwas auszugeben, wovon ich sie nicht überzeugen konnte.
Bei den öffentlich-rechtlichen kommt dieses Geld ja von den Gebührenzahlern.
Fromm: Richtig, aber da sitzen Leute am Drücker und sagen: Schleuse auf oder Schleuse zu – das ist ihr Job. Und wenn ein Sender einen Stoff von mir nicht machen will, muss ich mir auch deren Begründung anhören. Denn ich muss als Kreativer genauso die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ich jemanden inhaltlich nicht überzeugen konnte.
Aber sie könnten bei jeder Ablehnung sagen: Für 70 verschiedene Krimiserien- und Reihen ist das Geld doch auch da.
Fromm: Das tut dabei nichts zur Sache. Sicher frage ich mich auch, wie viel Krimis es noch geben soll. Ich stehe aber nicht auf der Seite derer, die das entscheiden, sondern ich bin ganz bewusst auf die andere Seite gegangen, mit all den Konsequenzen, die das mit sich bringt. Und dazu gehört, dass ich es immer wieder schaffen muss, die Leute in den Sendern zu überzeugen. Das gelingt aber nicht immer.
Dass zu viele Krimis gesendet werden, hört man in letzter Zeit öfter. Angenommen, Sie könnten über die Zahl der Krimis entscheiden…
Fromm: Ich persönlich glaube, dass wir gut auf 30 bis 40 Prozent der Krimis verzichten könnten. Es gibt ein Bedürfnis bei den Menschen, das zu gucken, dem kann man auch nachgehen. Doch selbst beim „Tatort“ denke ich, dass es langsam zu viel und dadurch unübersichtlich und beliebig wird.
Eine größere Vielfalt im Programm täte uns gut. Das heißt, die Leute auch mit mehr Dingen zu konfrontieren, die nicht so gefällig sind. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kann sich ein viel größeres Selbstbewusstsein erlauben. Wenn ich mir die vielen Grimme-Preise angucke, dann zeigt das doch: Es gibt immer wieder tolle Produktionen. Aber es wäre noch mehr tolles Programm möglich. Das ist ein Kampf der permanent geführt wird.
Sie haben schon 2009 in einem Interview darüber geklagt, das bei Fernsehfilmen die Drehtage von 30 auf 23 reduziert wurden. Damals war der Etat der öffentlich-rechtlichen stabil, von Sparmaßnahmen war keine Rede, sprich die Gelder waren da. Warum hat man da bei den Drehtagen abgebaut?
Fromm: Die Gelder waren da, sie wurden aber anders verwendet. Es wurden Unmengen an Geld für Sportrechte ausgegeben, außerdem schieben die öffentlich-rechtlichen Sender eine irrsinnige Welle an Pensionskosten vor sich her, noch aus den 70ern.
Hinzukommt, dass in den Sendeanstalten die Controller und Finanzleute eine größere Macht bekommen haben. Die haben sich auch angeguckt, in wie vielen Drehtagen ein Film entsteht und dachten wahrscheinlich: ‚Das sieht so gemütlich aus, da stehen immer so viele rum und warten, das geht sicher auch in kürzerer Zeit‘. Ab da wurde quasi ein Sport draus gemacht, die Leute zu drücken. Wenn ich Finanz-Controller bin muss ich meine Existenz ja dadurch rechtfertigen, dass ich Geld einspare. Da sitzen dann oft Leute am Tisch, die vom faktischen Dreh vor Ort überhaupt keine Ahnung haben, die auch nicht wissen, dass zum Beispiel so eine Zeit des Wartens am Set extrem wichtig und auch kreativ sinnvoll ist. Oder dass ein gutes Catering großen Einfluss hat auf die Stimmung im Team, auch auf die Leistung des einzelnen Schauspielers.
In den Diskussionen um Drehtage haben die Entscheider in den Sendern auch teilweise sehr unrühmliche Aussagen getätigt.
Was genau meinen Sie?
Fromm: Einmal hieß es: Wir schaffen ein Fernsehspiel in 19 Tagen – so etwas finde ich fatal. Sicher gibt es Fernsehspiele, die man in dieser kurzen Zeit drehen kann, zum Beispiel wenn ich ein Kammerspiel mache, wo alles in einem Raum stattfindet. Aber wenn ich ein Fernsehspiel machen will, dass einen gewissen Schauwert hat, eine cineastische Qualität, wo ich auch teure Schauspieler verpflichten will und der Sender es dann auf 19 Drehtage begrenzt, halte ich das für ein Unding. Da haben sich Leute profiliert, auf Kosten des Werks.
Heute ist es in der Tat so, dass die Sender Geldprobleme haben. Doch angesichts der Summen, die da immer noch umgesetzt werden, glaube ich nicht, dass es für das Schicksal eines Senders eine Rolle spielt, ob eine Filmproduktion ein oder zwei Tage länger dauert. Für die Qualität des Films ist es dagegen ganz entscheidend.
Als Anfang des Jahres die Einschaltquoten ausfielen, schrieben Sie in der SZ dazu eine „Utopie“. Darin heißt es: „Die Quote ist ein Werkzeug, das zur Waffe wird, sobald es als als Vorwand missbraucht wird, systematische Verdummung des Publikums scheinbar objektiv zu rechtfertigen.“ Wo haben Sie zuletzt im TV an „systematische Verdummung“ gedacht?
Fromm: Bei Scripted-Reality-Formaten, das ist für mich wirklich absolute Verdummung. Oder auch die ganzen Talent-Shows. Und bei „Germany’s Next Topmodel“ werden Frauenbilder vermittelt, die ich katastrophal finde, speziell für Mädchen. Es wird aber gesendet, weil es heißt „die Leute wollen das sehen“. Eine inhaltliche Diskussion wird vollkommen abgebügelt, allein mit dem Quotenargument. Das finde ich viel zu kurz gedacht, man sollte sich mit diesem Vorwurf schon auseinandersetzen. Danach kann man immer noch sagen: Wir machen es trotzdem. Es werden ja auch Zigaretten verkauft, obwohl man weiß, dass es Krebs verursacht.
Da könnten Sie ja fast ein wenig froh darüber sein, dass der Fernsehkonsum bei jüngeren Menschen zurückgeht.
Fromm: Meine Studenten haben tatsächlich gar keinen Fernseher mehr. Was im Internet nicht präsent ist, findet für die nicht statt. Aber die Macher haben für ihre Formate natürlich Internetplattformen. Die Diskussion verlagert sich nur, von Quote auf Clicks.
Und ein öffentlich-rechtliches Medienangebot ohne Quote, bleibt das Utopie?
Fromm: Ja, das bleibt Utopie, denke ich. Im Internet wird sie einfach durch Klickzahlen ersetzt.
Der Blick auf die Quote hat bei den Öffentlich-Rechtlichen ja auch mit dem Rechtfertigungsdruck zu tun, damit, dass sie von politischer Seite immer wieder angegriffen werden. Das fing an mit Edmund Stoiber, der mal gesagt hat: Wir brauchen die öffentlich-rechtlichen Sender nicht mehr, es reichen die Privaten.
Die Konsequenz davon habe ich selbst erlebt, auf einmal ging es bei den Sendern darum, wie viele Zuschauer eine Sendung hat. Das war vorher überhaupt kein Thema. Der BR musste dem politischen Druck etwas entgegenhalten, deshalb ging es mit der Quote los. Damit man sagen konnte: Uns gucken so viele Leute, wir haben eine Relevanz, deswegen ist das Geld bei uns gut angelegt. Und solange es für die Sender keine wirkliche Bestandsgarantie gibt – oder irgendeine andere Form der Finanzierung – wird das mit der Quote immer so bleiben.
Das hohe Krimi-Angebot scheint auch eine Folge der Quote zu sein. Roland Suso Richter sagte im Gespräch: „Die Sender klammern sich an die Dinge, die noch funktionieren.“
Fromm: Ja, das tun sie, mit dem Quotenargument. Da verweisen sie dann auf fünf, sechs Millionen Zuschauer – das kann man auch erstmal gelten lassen. Allerdings werden diese sechs Millionen zunehmend älter. Das ist die Herausforderung für die Sender, das haben sie auch schon erkannt. Die ZDF-Serie „Bad Banks“ zum Beispiel ist ganz klar zugeschnitten auf jüngere Zuschauer – und sie läuft vorab in den Mediatheken. Damit will man sagen: Wir sind nicht nur der Sender für Oma und Opa.
Wie ist das eigentlich, wenn Sie Studenten in der Regie von TV-Filmen unterrichten, auch wenn die gar nichts mehr mit dem Fernsehen anzufangen wissen?
Fromm: Die haben natürlich alle den Traum, Kino zu machen. Fernsehfilm wird von den meisten als Brot- und Buttergeschäft angesehen, als notwendiges Übel – auch wenn ich versuche, ihnen das anders zu vermitteln. Dass einer von denen sagt „ich will später mal Fernsehspiele machen“, das kommt nicht vor.
Ein wenig ändert es sich jetzt durch das Aufkommen des seriellen Erzählens, wobei meine Studenten da in erster Linie an die großen Streaming-Dienste denken. Das habe ich übrigens auch bei „Weissensee“ festgestellt: Erst durch die Ausstrahlung bei Netflix sind meine Studenten auf die Serie aufmerksam geworden. „ARD guck ich doch nicht, das gucken meine Eltern“. Da haben die öffentlich-rechtlichen Sender noch eine große Aufgabe vor sich, diese jungen Leute wieder einzufangen, ansonsten haben sie in 20 Jahren wirklich ein Rechtfertigungsproblem.
Ihr Kollege Suso Richter vermutet, dass die Sender in 20 Jahren ein Nischen-Angebot sind.
Fromm: Ich denke, die Sender haben alle Möglichkeiten, mehr draus zu machen. Sie haben unfassbar viel Geld, sie haben extrem viel Personal, das hochgeschult ist… Wenn sie ihre Möglichkeiten nutzen, könnte ich mir eher vorstellen, dass es in Richtung BBC geht. Die haben eine tolle Mediathek hochgezogen, machen ein tolles Programm und sind sehr erfolgreich.
Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender es bei uns schaffen, sich digital so aufzustellen, wie sie es wollen – das ist ja auch eine rechtliche Frage – dann sind ARD und ZDF in Zukunft vielleicht zwei von vier großen Playern auf dem Streaming-Markt, neben Amazon und Netflix.
Hatten Sie schon mal schlechtes Gewissen, wenn Sie hören, dass hierzulande manchen Beitragsverweigerern die Rente gepfändet wird, für die Gebühren?
Fromm: Das habe ich noch gar nicht gehört.
Manchen wird das Auto gepfändet, anderen die Rente – und es sind Menschen ins Gefängnis gekommen, weil sie nicht zahlen wollten.
Fromm: Man kann natürlich argumentieren: Warum soll ich für etwas zahlen, was ich gar nicht nutze? Da würde ich dagegen halten, dass ich ja auch Steuern zahle für Straßen, die ich nie befahre, oder für Schulen, auf die meine Kinder nie gehen. So funktioniert einfach das öffentliche Gemeinwesen. Auch für Dinge, die ich persönlich ablehne, zahle ich Steuern, weil ich mich als Mitglied des Gemeinwesens sehe und dieses Gemeinwesen als Ganzes für Positiv halte. Und dazu gehört auch die Fernsehabgabe. Im Idealfall schützt und garantiert das öffentlich-rechtliche Fernsehen ja auch die Meinungsfreiheit. Das ist die Idee dahinter – und die finde ich als Idee nach wie vor eine gute und schützenswerte.
Er hat nicht gesagt, dass der Rundfunkbeitrag eine Steuer ist. Er hat nur verglichen und sagt, dass der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk zum Gemeinwesen gehört, wie anderes auch, was man als Bürger nicht nutzt, aber dennoch mitfinanziert.
Und man braucht keinen Fernseher mehr, um die Öffentlichen sehen und hören zu können, ein Smartphone und ein Internetzugang reichen aus.
Was Fromm im letzten Absatz sagt, ist teilweise falsch.
Soweit es Steuern betrifft, hat er recht. Da ist es tatsächlich so, dass sie unabhängig von der Inanspruchnahme irgendwelcher Dienste oder der Infrastruktur von allen erhoben werden.
Der Fernsehbeitrag ist aber keine Steuer.
„Der Rundfunkbeitrag sei aber eben keine Steuer, sondern eine rundfunkspezifische nicht-steuerliche Abgabe, so das BVerwG. Er werde nämlich nicht als Steuer voraussetzungslos, sondern als Gegenleistung für die Möglichkeit erhoben, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme empfangen zu können. Außerdem werde das Beitragsaufkommen gesondert von den Haushalten der erhebenden Bundesländer eingestellt.“
Quelle: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverwg-rundfunkbeitrag-verfassung-haushalt-steuer-abgabe-gleichbehandlung/
Deshalb heißt es ja auch nicht „Rundfunksteuer“, sondern „Rundfunkbeitrag“ bzw. früher „Rundfunkgebühr“. Gebühren werden nur erhoben für Leistungen, die man tatsächlich in Anspruch nimmt (der Parkscheinautomat an der öffentlichen Straße kassiert Parkgebühren von den Autofahrern, die dort parken).
Mit einer Gebühr hätte es also nicht funktioniert, die Zahlungspflicht auch auf Haushalte ohne Fernseh- und Radiogerät auszudehnen. Deshalb gab es früher ja auch die GEZ-Kontrolleure, die in der Wohnung nachsehen wollten, ob nicht doch irgendwo ein Fernseher ist.
Jetzt nennt man es „Beitrag“ und stellt auf die theoretische Möglichkeit ab. Man braucht sich ja nur einen Fernseher zu kaufen, wenn man die Gegenleistung will, haha. Ob das verfassungsgemäß ist, wird sich vor dem BVerfG noch rausstellen.
Was ein Beitrag ist, steht dort
https://www.juraforum.de/lexikon/beitraege
und da sind auch die anderen Formen von Abgaben einschließlich der Gebühren nochmal erklärt.